Warum ist die IG Metall erstmals mit einer eigenen Kampagne in die Betriebsratswahl gegangen? Was sind die großen Herausforderungen und Chancen für die Betriebsräte in den nächsten vier Jahren, auf welche neuen Rollen sollten sie sich vorbereiten? Heike Madan, Ressortleiterin “Vertrauensleute, Betriebs- und Unternehmenspolitik beim IG Metall-Vorstand, hat uns erzählt, warum es jetzt so wichtig ist, sichtbar in den Betrieben zu werden und zu bleiben.
Liebe Heike, wer die Betriebsratswahlen verfolgt, weiß: Wir haben die DGB-Materialien um eine eigene Kampagne ergänzt. Warum eigentlich?
Uns allen ist klar, dass die Betriebsratswahlen 2022 eine besondere Herausforderung werden. Der Wandel ist da. Die Ausrichtung der Unternehmen ändert sich, Produkte und Produktion werden umgestellt, Arbeit wird digitalisiert, allem voran natürlich in der Automobilindustrie - das ist ein Wahnsinns-Umbruch in den Betrieben.
Und damit sind wir beim Thema sichtbar werden im Betrieb, wobei wir dabei auch die Mitbestimmung an sich zum Thema zu machen wollen. Immerhin ist die betriebliche Mitbestimmung vor 50 Jahren unter Willy Brand das letzte Mal substantiell erneuert worden. Hier muss dringend nachgebessert werden und die Mitbestimmungsrechte müssen so angepasst werden, dass eine Mitgestaltung der Transformationen auf Augenhöhe möglich wird. Also sprich, wir brauchen eine gute Wahlbeteiligung. Wir müssen mehr werden, mehr Betriebe brauchen einen Betriebsrat und natürlich auch mehr Mitglieder.
Aus diesen Gründen haben wir uns dazu entschlossen, eine eigene Kampagne zu entwickeln, um den ganzen Prozess - von der Planung bis hin zur Betriebsratswahl - so strukturiert wie möglich anzugehen, mit allen Unterstützungs-Möglichkeiten für unsere Betriebsräte, die nur irgendwie denkbar sind und über Flyer, Plakate, den rechtlichen Baukasten und den Wahlplaner hinausgeht.
Warum das Motto “Team IG Metall” - und wie kommt das bei den Leuten an?
Wir hatten wir das Gefühl, dass wir etwas identitätsstiftendes für unsere Leute brauchen, ein gemeinsames Dach, unter dem sich alle versammeln können, und Team IG Metall, das fliegt, das muss man wirklich sagen. Es gibt kaum Kritik oder auch kaum Widerspruch an diesem Claim, an diesem Logo, an dieser Marke. Im Gegenteil - auch wenn ich zahlenmäßig nicht verifizieren kann, aber wer in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, sieht, wie viel Betriebe jetzt tatsächlich unter Team IG Metall zur Betriebsratswahl antreten. Es wird als etwas Verbindendes und als etwas Gemeinsames gesehen. Trotzdem kann jede*r aus dem Team individuelle Gedanken, die in das betriebliche Handeln passen, einspeisen. Das wird sich auch halten. Deswegen spreche ich auch nicht mehr von Claim, sondern wirklich von Marke. Wir haben jetzt schon Anfragen für weitere Wahlen, die anstehen und das ist ja eigentlich perfekt. Wenn wir in Zukunft als Team IG Metall im Betrieb antreten können, umso besser.
Was sind unsere bisherigen Erkenntnisse aus der Kampagne, was nehmt ihr mit, was möchtet ihr teilen?
Die eigenen Lerneffekte kommen vor allem über die starke Prozessorientierung. So können wir zum Beispiel auch besser erkennen, dass die Kampagne verfängt, ansonsten hätten wir ja gar kein Monitoring, außer den letztendlich wenig aussagekräftigen Bestellzahlen von Flyern. Über unsere neuen Angebote, wie die wöchentliche Sprechstunde oder auch unsere Teilnahme an den vielfältigen Veranstaltungen, die wir den Gliederungen anbieten, bekommen wir einen viel besseren Einblick und natürlich auch Feedback in Echtzeit.
Wir bekommen auch sehr gute Rückmeldungen zu unserer digitalen Wahl-Zentrale. Wir haben ja das gute alte Aktionshandbuch wieder aufgelegt, aber nicht gedruckt, sondern digital, damit wir es permanent weiterentwickeln können. Hier ist für alle drei Phasen der Kampagne alles vom ersten bis zum letzten Schritt ganz klar runtergebrochen. Es erklärt, was der jeweilige Betriebsrat des Gremiums tun kann und was dieser dafür braucht. Das Plakat ist das eine, aber es muss ja auch klar sein: Was muss ich vorher machen, bevor ich es online stelle?
Und das ist jetzt gerade auch so ein bisschen Learning für die ganzen anderen Themen, die wir bearbeiten. Wie können wir die Leute befähigen, dieses Thema selber zu bearbeiten und das dann gezielt mit unterstützenden Materialien anzugehen? Diese Umstellung ist auch ein Lerneffekt für uns im Moment.
In den nächsten Wochen werden die meisten Betriebe ihr neues “BR-Team” haben. Was sind deiner Meinung nach die Herausforderungen für die kommenden Jahre?
Ich sehe da vor allem drei Herausforderungen:
1. Bei den strategischen Entscheidungen der Unternehmen mitbestimmen
2. Beteiligung der Belegschaft, sie wirklich mitnehmen
3. Qualifizierung der Kolleg*innen
Wenn das alles gut ineinandergreift und gut funktioniert, dann bleibt das Team ja auf jeden Fall da. Das ist ja das oberste Ziel: Keine*r darf wegen der Transformation den Arbeitsplatz verlieren! Deswegen ist es so wichtig, frühzeitig Einfluss zu nehmen, bei den Umsetzungen dann sichtbar zu sein und die Kolleg*innen mitzunehmen und zu beteiligen. Und natürlich, die Kolleginnen und Kollegen für die Veränderungen zu qualifizieren, das ist unheimlich wichtig. Und genau hier sind starke Betriebsräte gefragt. Laut einer unserer Beschäftigtenbefragung hat ein Großteil der Unternehmen gar keine Transformationsstrategie, das sagt ja schon alles. Da kommt auf uns auch eine neue Rolle zu – die Verantwortung haben wir, allein schon den Beschäftigten gegenüber. Da müssen wir alle neu denken und auch selber Innovationen anstoßen und Ideen entwickeln.
Das ist für viele Neuland und ein Grund, warum wir auch politisch aktiv werden und zusammen mit anderen Akteuren bundesweit sogenannte Transformationsnetzwerke aufbauen: um Austausch zu organisieren und Betriebe und Regionen gut durch den Wandel zu bringen. Außerdem, wie erwähnt, setzen wir uns mit der “Initiative Mitbestimmung” für eine Runderneuerung der Mitbestimmungsrechte ein, damit wir in den Veränderungsprozessen auch rechtlich ein Player auf Augenhöhe sein können.
Bei der Transformation wird ja oft, und zu Recht, über die Herausforderungen gesprochen. Aber was sind denn die größten Chancen, die sich den Betriebsräten bieten?
Wünschenswert wäre tatsächlich, wenn sie sich als starke Kraft im Betrieb tatsächlich auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber etablieren, mit einer anderen Form von Betriebsrats-Arbeit: Raus aus dem Sitzungszimmer, raus aus den ganzen Terminen mit dem Arbeitgeber, sondern tatsächlich reinzugehen in die Prozesse, ran an die Belegschaften und diese eben auch bei den Prozessen beteiligen. Also ich glaube, Beteiligung und Transparenz, das sind die roten Fäden im zukünftigen Handeln als Betriebsrat. Eben nicht nur die die Mängel zu verwalten und sich auf Interessenausgleich zu konzentrieren und darauf, dass so viele wie möglich an Bord bleiben. Sondern aktiv mitgestalten, sodass es eine Zukunft für den Betrieb gibt. Damit können sie auf Augenhöhe landen und sich als gleichgewichtige Kraft im Betrieb etablieren. Das ist eine große Chance.
Das führt mich zur Frage zur Weiterbildung. Welche Kompetenzen brauchen denn Betriebsrät*innen, um diese Chancen auch wahrnehmen zu können?
Aus meiner Sicht geht es ganz klar um drei Stränge: Um Analyse-Kompetenz, also die Fähigkeit, die brennenden Themen zu identifizieren, die jetzt tatsächlich bei mir im Betrieb anstehen. Also die Themen hinter den Themen auszumachen und die Problemstellung zu durchdringen. Dann Themen-Kompetenz, um die Veränderungen auch inhaltlich zu verstehen. Zu begreifen, um was geht es eigentlich genau? Was bedeutet Industrie 4.0? Was bedeutet künstliche Intelligenz? Die Veränderungen der Arbeitsprozesse, das ist das eine, aber überhaupt zu verstehen, worüber reden wir da - das ist dann noch mal was anderes. Und als drittes Prozess-Kompetenz, also neue Methoden und Ansätze parat zu haben, um Menschen nachhaltig zu beteiligen und gemeinsame Prozesse als Team so umzusetzen und zu bearbeiten, dass sie den komplexen und teilweise neuen Anforderungen gerecht werden.
Aber bei den Herausforderungen, die die Betriebsrät*innen in den nächsten 4-8 Jahren haben werden und bearbeiten müssen, da müssen wir genauso gut auf die Grundlagenbildung achten: Sie müssen verstehen, wie unsere Arbeitswelt funktioniert, wie Betrieb und Gesellschaft funktionieren, wie der Interessengegensatz funktioniert, wenn sie tatsächlich einen Arbeitgeber haben, der sie in der Transformation lieber ausbluten lässt, als dass er da irgendwie mit dem Betriebsrat in Kooperation tritt und versucht gemeinsam etwas hinzubekommen. Dafür braucht es ein Grundverständnis, was macht das eigentlich mit dem Einzelnen, was macht das mit den Kolleginnen und Kollegen um mich herum? Was passiert dann eigentlich mit der Struktur auch in der Region. Das Fachliche auf der einen Seite ist wichtig.
Es geht aber auch darum, zu verstehen, dass wir an einem Scheideweg stehen, in einer industriellen Revolution, mit einer Neuausrichtung der Gesellschaft und all dem, was drumherum passiert. Sie müssen lernen, mit diesen ganzen Unsicherheiten umzugehen, zu erkennen, wo driften die Menschen ab und wie können sie sie mitnehmen und beteiligen; das muss man alles im Zusammenhang denken, das ist groß. Und dafür brauchen wir einen menschlichen Blick, der über den Tellerrand hinausgeht. Das kriegst du nur über eine gute Grundlagenbildung und viel Austausch hin.
Liebe Heike, vielen Dank für deine Zeit.
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