Wir nutzen bereits den 1. Mai, um uns Gedanken zur Zukunft der Arbeit zu machen. In diesem ersten Teil betrachteten wir das Konzept der New Work von Frithjof Bergmann. Für den zweiten Teil baten wir Dr. Jürgen Klippert die Ideen Bergmanns aus der gewerkschaftlichen Perspektive zu bewerten. Jürgen ist Politischer Sekretär im Ressort Zukunft der Arbeit in der IG Metall-Vorstandsverwaltung.
New Work und private Regierungen – Mit Macht zur Selbstbestimmung
Im Unternehmen der Zukunft verbinden sich das Streben nach Profit mit Sinnerfüllung und
technologischer Wandel mit Menschlichkeit. So oder ähnlich liest man es auf vielen Websites, die das Konzept propagieren. „New Work“ ist die Vision von der Selbstverwirklichung des Menschen in der Arbeit. Für den Begründer des Konzepts, den austro-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann, war das Ziel, ein Gegenmodell zum Kapitalismus zu entwickeln. Daher begründete er seit den 1980er Jahren eine Bewegung der Neuen Arbeit.
Zentrale Werte des Konzepts New Work sind Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. New Work soll neue Wege von Freiräumen für Kreativität und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bieten und echte Handlungsfreiheit ermöglichen. Das selbstbestimmte Handeln steht im Vordergrund. Die alten starren Arbeitsmethoden aus der Frühzeit der industriellen Revolution sollen der Vergangenheit angehören. Strikte Arbeitsteilung, klare Hierarchien sowie festen Kommando- und Zeitstrukturen, die das klassische Bild von Arbeit geprägt haben, sollen überwunden werden. Der Wandel zu New Work geht mit der digitalen Vernetzung einher und löst die alte Arbeitsweise immer mehr ab. Selbstbestimmt arbeiten, über das wann und wie und die Inhalte der Arbeit selbst entscheiden. Es klingt so, als sei es ein Konzept der Gewerkschaften. Gute Arbeit, abgesichert und selbstbestimmt, war schließlich schon immer gewerkschaftliches Ziel. Aber ist das gemeint, was wir als Gewerkschafter*innen darunter verstehen? Es gibt Leute, die sagen, es liege an der Unschärfe ihrer Konturen, warum Frithjof Bergmanns Neue Arbeit so zeitlos aktuell ist. Wie können die Umrisse von New Work geschärft werden? Es ist doch klar: Die neue Arbeit muss fassbar werden, um sie Wirklichkeit werden zu lassen. Wir sollten für Schärfe der Konturen sorgen.
Wenden wir den Blick auf die Realität der Arbeitswelt. Die US-amerikanische Philosophin Elizabeth Anderson bezeichnet in ihrer aktuellen Studie das Arbeitsverhältnis als „private Regierung“. Der Arbeitgeber ist der Herrscher, der seinen Angestellten Anweisungen erteilen kann, die bei Missachtung mit Sanktionen bestraft werden. Das arbeitende Subjekt hat keine Mitsprache dabei, wie die Regierung vorgeht, und es kann nicht fordern, dass bei diesen Entscheidungen der Regierung auch seine Interessen berücksichtigt werden. Die private Regierung ist weder demokratisch legitimiert noch kann sie demokratisch kontrolliert werden. Nach dieser aktuellen Zeitdiagnose klingt „New Work“ wie ein frommer Wunsch.
Selbstbestimmung und Freiheit im Angestelltenverhältnis ist ein Widerspruch. Eine Arbeitswelt ohne Konflikte gibt es nicht. Gleichzeitig erleben wir: das Einbringen eigener Ideen und Wünsche sowie selbstbestimmtes Handeln wird immer häufiger von Arbeitsgebern ausdrücklich erwünscht sind. Kontrolle und starre Hierarchien sind hinderlich, wenn es um schnelle Entscheidungen, Kreativität und flexibles Handeln geht. Die Arbeitswelt steht angesichts dieser Anforderungen vor neuen Herausforderungen und Veränderungen. Doch es ist nicht damit getan, einfach eine neue Arbeitswelt oder „New Work“ auszurufen. Diese neue Arbeitswelt muss erkämpft und gestaltet werden. Konflikte sind dabei unvermeidlich und „New Work“ kann diese Konflikte nicht einfach auflösen. Am Ende wird die private Regierung ihre wirtschaftlichen Interessen durchdrücken. Die Selbstbestimmung der „New Work“ verkommt dann zur instrumentellen Beteiligung der Arbeitenden. Solange es der „privaten Regierung“ gefällt, dürfen die Beschäftigten im gesetzten Rahmen selbstbestimmt agieren, solange die vom Herrscher vorgegebenen Ziele erreicht werden.
Beteiligung ist entscheidend, um eine neue Arbeitswelt zu verwirklichen, in der Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Entscheidungen zu verwirklichen. Damit ist demokratische Beteiligung gemeint, bei der Beschäftigte ernsthaft über das was, wann und wie der Arbeit mitentscheiden. Instrumentelle Beteiligung, bei der Beschäftigte fremdbestimmte Ziele mit begrenzten Ressourcen umsetzten (müssen), sind nicht geeignet, um das geforderte Einbringen eigener Ideen und Wünsche sowie selbstbestimmtes Handeln langfristig zu sichern. Demokratische Beteiligung benötigt Ressourcen, über die Arbeitende selbst verfügen können: Zeit, Zugriff auf Informationen, Qualifizierung. Das wird sich nicht automatisch realisieren. Eine Arbeitswelt ohne Konflikte gibt es nicht. Manchmal braucht es Macht, um eine neue Arbeitswelt zu realisieren. Macht, wie sie das Betriebsverfassungsgesetz den Betriebsräten verleiht. Oder wie sie von Gewerkschaften repräsentiert wird. Dies gilt auch für die heutigen Service-, Informations- und Kreativarbeiter, die mit „New Work“ in erster Linie angesprochen werden.
Jürgen Klippert, Dr. habil., ist Politischer Sekretär im Ressort Zukunft der Arbeit in der IG Metall-Vorstandsverwaltung, Frankfurt a. M.; mit dem Schwerpunkt auf die Entwicklung der Arbeitsqualität im Rahmen der digitalen Transformation. Arbeitsschwerpunkte sind dabei die humanzentrierte und partizipative Gestaltung von sozio-technischen Systemen. Dr. Klippert ist zudem Lehrbeauftragter für Arbeitssystemgestaltung an der Universität Kassel. Nach der Berufsausbildung und mehrjähriger Berufstätigkeit im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik studierte Jürgen Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Arbeit und Technik an der Universität Kassel. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitswissenschaft der Universität Kassel, um 2006 zu promovieren mit seiner Arbeit zum Thema psychische Belastung und Beanspruchung bei der Kooperation in digital vernetzten Arbeitssystemen. Im Jahre 2018 folgte die Habilitation im Fach Arbeitswissenschaft an der Universität Kassel mit seiner Arbeit zur Synthese sozial- und ingenieurwissenschaftlicher Ansätze der Arbeitswissenschaft unter dem Titel „Augmented Ergonomics“
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