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Tarifarbeit ist Bewegungsarbeit

Stefan Schaumburg, Leiter des Funktionsbereichs Tarifpolitik, und Sebastian Gasior, Leiter des Ressorts Strategische Erschließung, haben gemeinsam die Kampagne “Aktiv für Tarif” entwickelt. Wir haben sie gefragt, warum sie neue Wege gegangen sind, was sie aus dieser Zusammenarbeit mitnehmen und wie sie es trotz der angespannten Lage schaffen, aus der Tarifrunde eine Tarifbewegung zu machen.

Die Zeichen stehen auf Krise, gerade der Krieg, die Verknappung des Gases und die zunehmende Inflation machen Unternehmen wie Arbeitnehmer:innen gleichermaßen zu schaffen. Können diese Themen in der aktuellen Tarifverhandlung überhaupt richtig behandelt werden? Und wenn ja, wie?
Stefan Schaumburg – Die Themen sind nun mal da und insofern müssen wir uns damit auseinandersetzen.
Wir versuchen auf der sachlichen Ebene zu erklären, was eigentlich genau passiert und welche Reaktionsmöglichkeiten wir haben. Einen Punkt, den wir dabei besonders betonen, ist, dass die Beschäftigten die einzige Gruppe in dieser Gesellschaft sind, die erhöhte Preise nicht weitergeben können. Deswegen fordern wir ja 8 %, das ist unsere Form der Weitergabe von höheren Preisen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht! Aber das beinhaltet auch Gefahren: Ich stelle schon fest, dass die ersten auf Argumente der Gegenseite hereinfallen und sich fragen, ob eine hohe Forderung eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen könnte. Aber was wir nicht vergessen dürfen, ist, dass Profite und Preise hochgegangen sind, sich aber bei den Löhnen in den letzten Jahren gar nichts bewegt hat. Uns also jetzt für eine schwierige wirtschaftliche Entwicklung, wo gestiegene Preise durch gestiegene Löhne nochmal erhöht werden, verantwortlich zu machen ist ein bisschen bösartig und geht völlig an der Sache vorbei. Aber das passiert.

Die ganze Sache ist also komplex, es braucht Zeit, das zu erklären. Wir haben die Tarifrunde sehr früh gestartet, gerade weil wir diese Zeit brauchen. Im Grunde sind wir seit März - seit dem Beginn unserer Kampagne Aktiv für Tarif - dabei, das, was durch den Krieg, was in der Wirtschaft passiert, erstmal zu erklären und ins Gespräch zu kommen.


Redaktion: Stichwort Komplexität - Ist die Tarifarbeit insgesamt schwieriger geworden? Stefan Schaumburg – Ich weiß gar nicht, ob es schwieriger geworden ist. Ich mache das ja jetzt schon über 30 Jahre und was mir auffällt, wenn ich so zurückblicke, dann dass es immer einzelne Phasen und Herausforderungen gab, die man irgendwie bewältigt hat: Ob es Transformationsprozesse, die Finanzkrise oder jetzt eben gerade Corona war - das waren alles Sachen, die du irgendwie greifen konntest, da konntest du was tun. Aber in der jetzigen Situation, in dieser Multi-Krise, was willst du denn gegen Krieg machen? Klar, da gibt es jetzt Debatten, die einen sagen, man solle Waffen liefern. Die anderen fordern, sie lieber niederzulegen, um friedliche Lösungen zu finden. Aber da kommst du ganz schnell ins kurze Gras- sowohl tarifpolitisch als auch persönlich moralisch. Ich glaube, das Problem jetzt ist, dass es keine Werkzeuge gibt. Bei Corona z.B. gab es das Motto "Abstand. Maske. Arbeitskampf." und unsere Botschaft war: Es geht trotz des Virus noch was. Aber jetzt? Jetzt gibt es eine gewisse Orientierungslosigkeit und die Frage: An welcher der vielen Baustellen muss ich zuerst anfangen?
Zu der gemeinsamen Kampagne Aktiv für Tarif, würden wir gerne noch mehr wissen. Wie genau nehmt ihr die Leute mit, wie schafft ihr es, die Komplexität der Forderungen und die 8 % zu verargumentieren?
Sebastian Gasior – Das Fundament der Erschließungsarbeit ist immer das Thema, das allen unter den Nägeln brennt. Das gehen wir an. Dazu müssen wir immer als erstes auf die Betroffenen zugehen und fragen: „Was ist euch wichtig?“. Als wir das erste Mal zusammensaßen und gemeinsam die Kampagne entwickelt haben, haben wir entschieden: Egal was kommt, wir müssen in besonderem Maße an die Leute ran. Wir müssen frühzeitig Gesprächsanlässe schaffen, in den Dialog kommen und fragen: „Was denkt ihr über die anstehende Tarifbewegung? Was bewegt euch? Was seid ihr bereit, dafür zu tun?“ Die direkte Kommunikation mit den Menschen ist ja ein Grundprinzip der Erschließungsarbeit und damit auch ein zentraler Hebel in dieser Kampagne. Dabei war uns klar, dass es auch Kritiker:innen an dieser beteiligungsorientierten Vorgehensweise gibt, weil oft befürchtet wird, dass wir zu hohe Erwartungen wecken, die wir dann erfüllen müssen. Aber die Menschen haben ihre Erwartungen, sie haben Forderungen im Kopf und sie wissen, was sie wollen - ob wir sie fragen oder nicht. Es ist also besser, den Dialog zu führen, zu erklären und zu diskutieren, mit den Leuten und ihren Antworten zu arbeiten. Denn wenn wir in den Konflikt gehen, dann muss das immer mit den Menschen geschehen, es müssen ihre Forderungen sein, nicht unsere. So haben wir auch die Kampagne aufgebaut: in dem wir zunächst gefragt haben und damit die Forderungs-Findung wesentlich transparenter machten als wir das sonst tun, sie mit einbinden - aber dann eben auch erwarten, dass sie sich zur Forderung bekennen und für sie einstehen
Stefan Schaumburg – Es war ja auch das erste Mal, dass wir es geschafft haben, dass in allen Bezirken die Menschen nach ihren Forderungen befragt wurden. Das hat in der Organisation auch etwas die Angst vor der Beteiligung genommen, eben weil es keine unrealistischen Forderungen gab.
Wie genau geht es mit der Kampagne jetzt weiter? Was steht jetzt an? Sebastian Gasior – Aktuell läuft gerade der zweite Schritt der Kampagne, die Aktion „Gesicht zeigen! “, bei der die Kolleginnen und Kollegen per Foto im wahrsten Sinne Gesicht zeigen können für die 8 %. Was sich jetzt zeigt: dadurch, dass ja schon seit ein paar Monaten über die Forderung gesprochen wird, sind die Leute jetzt auch bereit, für ihre Forderungen einzustehen. Durch diesen Prozess habe ich auch die Hoffnung, dass sich zumindest zum Teil das Bild auflöst, dass die IG Metall die Dienstleisterin ist, die wie eine Art Behörde die Tarifarbeit macht. Stattdessen ist ja Tarifarbeit auch „Bewegungsarbeit“ und das soll in dieser Tarifbewegung besonders spürbar sein. Das mag vielleicht noch eine naive Hoffnung sein, aber das Gefühl ist definitiv da, dass wir mehr denn je den Spirit einer Tarifbewegung haben. Und dass die Beteiligten merken, das Ganze hat etwas mit ihnen zu tun, das hat etwas mit Mitgliedschaft zu tun und mit kollektiver Stärke. In diesem Sinne ist auch der dritte Schritt der Kampagne angelegt: Es gibt Planungshilfen, unterstützende Materialien und Schulungsangebote, um die Ansprache auf Warnstreikkundgebungen systematisch zu gestalten , mit dem Ziel, die Nichtmitglieder auf Warnstreiks für uns zu gewinnen.
Redaktion: Woher kommt dieses Bild, die IG Metall als Dienstleister? Stefan Schaumburg – Dafür gibt es viel Gründe. Ich möchte mal drei hervorheben: 2018 hatten wir eher komplizierte Forderungen, mit weniger Beteiligungsorientierung im Vorfeld. Aber bei dem dazugehörigen Arbeitskampf mit den 24 Stunden Warnstreiks waren rund 500.000 Beschäftigte beteiligt und wir haben noch nie so viele Mitglieder gewonnen. Das heißt, dass die Menschen uns vertrauen und sagen: Ihr macht das schon. Das gefällt uns nicht immer, weil es die Stellvertreter-Nummer ist.

Zweiter Punkt: Wir haben uns zum Teil auch wie Versicherungen aufgeführt. Es gibt ja Leute, die mit der Freizeitunfallversicherung geworben haben. Also wir sind auch ein bisschen selbst dran schuld. Und der dritte Punkt, der ist am schwierigsten, weil es hier um ein langfristiges Umschwenken geht: Wenn es um die Transformations-Themen geht, dann müssen wir unseren Leuten sagen: “Viele der jetzigen Jobs, die wird es so nicht mehr geben. Du wirst dich weiterqualifizieren müssen.” Aber es gibt eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Menschen, insbesondere im geringqualifizierten Bereich, die dann antworten: “Ich bin Mitglied und zahle ein Prozent von meinem Bruttolohn, dafür, dass du dafür sorgst, dass alles so bleibt, wie es ist!” Das ist menschlich verständlich und zeigt eben auch, dass es auch viele Leute gibt, die genau diese Versicherungsleistung von uns erwarten.

Ich glaube, dabei geht es um einen Kulturwandel. Wenn wir aus dieser Rolle des Bewahrers, der stellvertretend die Probleme löst, raus wollen, und stattdessen auf Beteiligung setzen und die Leute mitnehmen wollen, dann werden wir auch Konflikte führen müssen.

Und was bedeutet das für die Tarifbewegung? Ab wann ist sie ein Erfolg?
Stefan Schaumburg – Die Tarifbewegung ist dann ein Erfolg, wenn wir ein materiell gutes Ergebnis durchgesetzt haben und wenn wir mehr Mitglieder haben, wenn wir die Menschen begeistert haben. Beide Ziele sehe ich als gleichberechtigt an: Um diesen Laden so zu stabilisieren, dass er in Zukunft noch handlungsfähig ist, dafür brauchen wir Mitglieder. Und wir brauchen für die Beschäftigten einen greifbaren Erfolg.
Das Problem, was ich dabei sehe, ist: wie bewerten wir diesen Erfolg, wenn sich die externen Faktoren ändern. Bisher war alles irgendwie voraussehbar: Die Ergebnisse, die wir in den letzten 15 Jahren gemacht haben, waren immer in schlechten Jahren 58 %, in guten Jahren 65 % der Forderungen. Ein Unentschieden gab es nie, wir haben immer gewonnen und mehr als die Hälfte durchgesetzt. Es ist also alles reine Mathematik: Wenn wir 8 % fordern, müssen wir 5 % schaffen. So wie bei Stahl, dann ist das ein tolles Ergebnis. Aber wenn wir 10 % Inflation haben, dann wird aus diesem tollen Ergebnis gerade mal ein Ausgleich für die Hälfte der Preissteigerung. Meine persönliche Angst ist, dass in der heutigen Zeit ein gutes Ergebnis, das vielleicht sogar überall gelobt wird, trotzdem in der eigenen Mitgliedschaft nicht so gut ankommt, weil uns die Inflation weiter wegläuft.

Wo wir gerade von großen Veränderungsprozessen sprechen, die wir nicht aufhalten können. Wie wird die Transformation die Tarifarbeit verändern?
Stefan Schaumburg – Tarifarbeit der Zukunft, das bedeutet im Kern Zukunftstarifverträge, die ergänzend zum Flächentarifvertrag betrieblich gemacht werden müssen. Und da sind die Herausforderungen groß: Wir müssen es ja irgendwie schaffen, dass wir, ohne den Menschen Angst zu machen, klarmachen, da wird sich was ändern und wir können diesen Veränderungsprozess gestalten. Die Tarifarbeit im Betrieb wird sich dann viel um die Frage von Qualifizierungen drehen und um die Frage von Beteiligung. Es ist ja auch nicht das erste Mal. Schon in den 80er Jahren, als wir diese riesigen Einbrüche in der Werftindustrie hatten, hat sich gezeigt, dass, wenn wir Menschen beteiligen, mehr geht. Bei einer Insolvenz haben wir in vier Wochen mit den Beschäftigten 35 Vorschläge erarbeitet, zu der Frage, was man denn zukünftig machen kann. Und auch jetzt: Wir haben so viele tolle Leute im Betrieb, jetzt geht es darum zu gucken, was wir für Ideen haben. Aber das setzt natürlich voraus, dass die Beschäftigten wissen, dass es auf sie ankommt. Ich glaube daher, die Tarifarbeit der Zukunft wird einige Anstrengungen, viel Qualifizierung und ja, auch Zumutungen für die Beschäftigten beinhalten. Aber es wird ein gemeinsames Projekt nach vorne sein, das es in jedem Betrieb geben wird. Sebastian Gasior – Dem kann ich nur zustimmen: Das ist auch eine Riesenchance. Gerade wenn wir das ernsthaft und wahrnehmbar zu einem demokratischen Prozess in Betrieb machen. Wenn wir das, wie Stefan das bei den Werften beschrieben hat, in den Betrieben leben und um die Erfahrungen, die wir in den letzten 10-15 Jahren der Erschließungsarbeit gemacht haben, anreichern und gemeinsam überlegen “welche Möglichkeiten der Beteiligung, der ernsthaften Beteiligung gibt es denn?”, dann ist uns sehr geholfen.

Wenn es uns gelingt zu vermitteln, dass wir gemeinsam das erarbeiten, was wir wollen, was wir brauchen und aus diesem Schwung neue Teams bilden, in denen Aktive Metaller:innen und Vertrauensleute eine aktivere, gestalterische Rolle einnehmen - dann kann beispielsweise eine Forderung noch sehr viel intensiver debattiert werden im Betrieb. Eine betriebliche Umfrage ist ja nur der erste Schritt. Über die Ergebnisse kann ich mit Beschäftigten in Kleingruppen diskutieren, kann in einzelnen Abteilungen Arbeitsgruppen gründen und so die unterschiedlichen Interessen und die Arbeitsbedingungen verbinden. Wenn man da so rangeht, dann lassen sich langfristige demokratische Prozesse im Betrieb anstoßen, mit unseren Vertrauensleuten, mit unseren Interessenvertreter:innen und eben mit den Beschäftigten, im Besonderen natürlich unseren Mitgliedern. Der viel diskutierte Mitgliederbonus kann eben bedeuten, dass ich als Mitglied, besonders als aktives Mitglied, ernsthaft mitentscheiden und diskutieren kann, meine Beteiligung einen spürbaren Unterschied macht. Da kommen die Erschließungsarbeit und die Tarifarbeit sehr eng zusammen, wenn man das möchte.
Wie genau schaffen wir diesen ”Kulturwandel”? Wo müssen wir als Organisation ansetzen? Stefan Schaumburg – Es setzt voraus, Menschen für etwas zu begeistern. Und dann ist es aber auch Arbeit, und nicht mehr Stellvertreterpolitik-Folklore mit roter Fahne zweimal im Betrieb laufen. Das ist vorbei. Das ist ein kultureller Wandel, der für alle nicht so ganz einfach ist. Wir müssen im Grunde hingehen und sagen: “Leute, allein können wir das nicht - aber wir können es zusammen machen. Wir haben Ideen, wir können helfen, aber ihr müsst euch bewegen!” Wie Sebastian gerade gesagt hat, ist die IG Metall da besonders stark, wo wir beteiligen. Ein Beispiel: Wir haben einen 10 % höheren Organisationsgrad in den Bereichen, in denen die Beschäftigten ihren betrieblichen Tarifvertrag durchgesetzt haben.

Die, die sich hinstellen, Gesicht zeigen, für ihre Interessen selbst eintreten und sich mit Arbeitgeber: innen, die das mit Ihren Leuten machen, die diesen Schritt in Richtung echter Beteiligung gehen, gewinnen im Betrieb Mitglieder und sind stärker im Betrieb als die, die Folklore gelernt haben und das mit der roten Fahnen machen wie immer. An diesem Kulturwandel führt kein Weg vorbei.

Sebastian Gasior –  Ich beobachte zum Teil auch eine Tendenz zur "Betriebs-Politikverdrossenheit". Wenn ich feststelle, dass bei so mancher Betriebsratswahl nur 50 % der Beschäftigten überhaupt gewählt haben und unsere Aktiven und Betriebsräte Kommentare hören, wie „Die machen doch eh nur, was sie wollen“, dann spüre ich dahinter ein Gefühl der Ohnmacht, das Gefühl, dass man ja als Beschäftigter keinen wirklichen Einfluss hat und nichts zu Veränderung beitragen kann.

Aber wenn wir es schaffen, im Betrieb, in dem so wichtigen politischen Ort des täglichen Lebens bei den Leuten das gegenteilige Gefühl herzustellen – und dann auch zeigen, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob ich auf eine IG Metall Mitgliederversammlung meine Stimme erhebe oder nicht, ob ich bei einer Umfrage mitmache und ob ich mich einer Arbeitsgruppe der Aktiven oder der Vertrauensleute anschließe und Verbesserungen angehe. Wenn wir es schaffen, dass die Leute das merken, dann haben wir gewonnen. Dann machen wir tatsächlich Betriebspolitik im besten Sinne erlebbar, demokratisch und wirklich mit positiven Konsequenzen. Dieses Erlebnis ist, glaube ich, das beste Rezept gegen jede Form von “Politikverdrossenheit” und eben auch “Betriebs-Politikverdrossenheit.” Redaktion: Bildung und Veränderung hängen eng miteinander zusammen. Wo und wie muss sich auch die Bildungsarbeit verändern, um die Kolleg:innen vor Ort bei ihrer (Tarif-)Arbeit zu unterstützen und wirkmächtiger zu werden? Sebastian Gasior –  Ich denke gerade an den Union-Summer in Sprockhövel , an dem ich teilgenommen habe und der ja unter anderem von der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit organisiert wurde. Da haben wir die Bildungsarbeit und die Praxis sehr eng zusammengebracht: Den ganzen Mittwoch gab es einen qualifizierenden Theorie-Part und am Donnerstag sind wir ausgefahren in Betriebe, haben die Ansprache von Beschäftigten in der Praxis geübt. Oder auch, wie es auf einer Führungskräfte-Weiterbildung an der Academy of Labour war, bei der ich kürzlich zusammen mit Kolleg:innen aus der Tarifpolitik war. Da haben wir uns mit Experten erstmal auf der Theorieebene unterhalten, hatten aber dann eine ganze Einheit, wo wir uns mit betrieblichen Aktiven über die konkrete Umsetzung von Zukunfts-Tarifen ausgetauscht haben. Was will ich damit sagen? Wir können extrem gut Konzepte entwickeln, wir haben sehr kluge Leute und unsere Bildungsangebote für Haupt- wie Ehrenamtliche sind richtig, richtig gut. Aber wir haben manchmal eine Umsetzungsschwäche, ganz einfach, weil uns oft der Alltag eingeholt. Da komme ich vielleicht von der Qualifizierungsmaßnahme, habe einen Haufen Ideen und dann landet der nächste Auftrag auf meinem Schreibtisch und dann wird der Umsetzungs-Eifer schnell erstickt. Ein wesentlicher Schlüssel, um das zu ändern, ist es, sehr schnell und sehr klar in die Praxis zu kommen. Bildung und Praxis sind untrennbar miteinander verbunden und im Zentrum steht für mich dabei, Menschen schnell ins Erleben zu bringen. Ein Erlebnis, wie oben beschrieben, in dem das Gelernte gleich umgesetzt werden kann, wiegt schwer und macht die Bildungsmaßnahme nachhaltig. Aus meiner Sicht muss diese Praxiserfahrung und auch der Austausch darüber stärker in die Anlage von Bildungsangeboten integriert werden, was zu meiner Freude auch immer stärker passiert.

Stefan Schaumburg – Zwischen Bildung und Praxis gibt es für mich noch Beratung. Sebastian hat es ja angedeutet: Früher war es oft so, wenn jemand aus dem Seminar zurück in den Betrieb kam, haben alle gesagt: “ Ja, ja ist gut, das legt sich wieder. Arbeite mal wieder 'ne Woche, dann ist wieder alles gut.” Das hat sich schon verändert. Was uns nicht immer gelingt, sind die Möglichkeiten der Beteiligung, die es gibt, auch zu nutzen. Im Paragraf 28a des Betriebsverfassungsgesetzes steht, dass der Betriebsrat Gruppen von Beschäftigten und einzelne Beschäftigte beauftragen oder legitimieren kann, Sachen zu klären. Also warum delegieren wir nicht solche Themen wie Urlaubsplanung und lassen das die Kolleg:innen unter sich klären? Das könnte ein Beratungsansatz sein. Unsere Bildungsangebote zur Qualifizierung von Handlungskollektiven sind von hoher Bedeutung! Für die Umsetzung von Zukunftstarifverträgen brauchen wir Teams aus Vertrauensleuten, Betriebsräten, interessierten Mitgliedern und den betreuenden Gewerkschaftssekretär:innen. Unsere Qualifizierungsangebote zu Bildung und Beratung sind daher sehr wichtig, um als Handlungskollektiv handlungsfähig zu werden. Einen noch stärkeren Ausbau dieser Angebote begrüße ich.

Wir können die Aktiven aufschlauen und können jede und jeden qualifizierten, aber diesen Schritt der Zusammenführung derjenigen, die es dann im Betrieb machen müssen, auch mit der Frage der Rollen, mit der Frage von Kommunikation, mit der Frage, wie man Veränderungsprozesse gestalten kann - da sind unsere genau zugeschnittenen Angebote für Handlungskollektive aus Haupt- und Ehrenamtlichen wichtig. Und auch hier gibt es begleitende Beratungsangebote. Wesentlich für die Zukunft, wie man bei eurer Zusammenarbeit sehen kann, scheint uns die Fähigkeit zur Kooperation. Wie seht ihr das und wie war eure Erfahrung damit? Stefan Schaumburg – Erstmal muss man sich darüber im Klaren sein, dass das deutlich zeitaufwendiger und anstrengender ist als das, was wir früher gemacht haben. Aber wir haben auch gelernt, dass es ohne nicht geht und dass wir alle noch früher miteinander reden müssen.
Miteinander zu reden, zu überlegen, was wir machen können, und seinen eigenen Bereich zwar zu beherrschen, aber jetzt nicht zu wichtig zu nehmen, das ist das, worauf es für mich ankommt. Und natürlich die Bereitschaft zur Kooperation, auch wenn das an bestimmten Stellen nicht immer so gut funktioniert. Einfach nochmal versuchen. Es geht hier nicht um persönliche Eitelkeiten, sondern ganz einfach darum: wenn wir in Zukunft erfolgreich sein sollen, dann müssen wir uns bewegen und manche Dinge anders machen.
Sebastian Gasior – Stefan hat völlig recht, der zeitliche Mehraufwand, das ist eine Realität, die muss man anerkennen. Das bedeutet auch, dass dafür zeitliche Beinfreiheit vorhanden sein muss, und das ist eine Frage der Orientierung und Priorisierung, eine Führungsaufgabe. Genauso ist es eine Führungsaufgabe, die Angst vorm Scheitern zu nehmen. Auch wenn ich aus meiner praktischen Erfahrung sagen kann: Wenn kluge Leute aus verschiedenen Disziplinen oder Bereich zusammenkommen, dann geht es meistens gut aus und dann entsteht noch was Besseres - manchmal klappt eben etwas nicht. Deswegen müssen wir Ehren- wie Hauptamtlichen Sicherheit geben und klarmachen, wir streben nicht nach Perfektion, sondern streben nach kontinuierlichen Verbesserungen. Redaktion: Wie kann es uns gelingen, diesen Schwung zu fördern? Stefan Schaumburg – Wir sollten die Hauptamtlichen ermutigen, an bestimmten Projekten auf unterschiedlichen Ebenen und vielleicht auch an verschiedenen Orten zu arbeiten, um so den Laden wirklich kennenzulernen. Und die müssen sich stärker vernetzen. Sebastian hat ja die Qualifizierung der Academy of Labour angesprochen. Das Konzept haben wir ja mit der Academy zusammen gemacht. Da sitzen jetzt 20 Leute, die eigene Projekte machen, ihre Erfahrungen austauschen und sich vernetzen. Das ist das, was wir brauchen. In Unternehmen ist das längst ganz selbstverständlich - da bist du erst mal drei Jahre da und dann gehst du woanders hin, wenn du was bewegen willst. Insofern müssen wir vor Allem die Chancen darstellen, dass man bei der IG Metall noch mehr bewegen kann, wenn man sich auf ein bisschen mehr einlässt. Und in dieser Richtung können wir noch was machen und müssen auch noch was machen. Sebastian Gasior –  Dem kann ich nur zustimmen. Es geht um Haltung. Schliesslich machen wir Politik. Lieber Stefan, lieber Sebastian - vielen Dank für diese Diskussion

Stefan Schaumburg ist seit 2012 Leiter des Funktionsbereichs Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall und hat über dreißig Jahre Erfahrung in der Tarifarbeit. Er kennt die betriebliche Realität aus seinen Jahren als Bevollmächtigter, die Finessen der Tarifarbeit über seine Tätigkeit als Tarifsekretär und später als Bezirksleiter von Berlin, Brandenburg und Sachsen. Sebastian beschreibt ihn als “ kompetent, eloquent, sehr gut vernetzt und diese Organisation kennend.” Sebastian Gasior ist Leiter des Ressorts strategische Erschließung. Er kommt aus der politischen Kommunikation und hat viel Erfahrung in der Kampagnenarbeit gesammelt. Nach seinem Masterstudium war er als Organizer in Baden-Württemberg tätig und hat Erschließungsmethoden in der direkten Zusammenarbeit mit kleinen und großen Betrieben erprobt und weiterentwickelt, bevor er zum Vorstand gewechselt ist. Stefan bezeichnet Sebastian als “Klug, engagiert und weiß, wo er hin will. ”
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Wenn du mehr über die Kampagne „Aktif für Tarif“ wissen willst:
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Und wenn du und dein Team oder Gremium noch Interesse an einer kompakten Weiterbildung zur Tarifbewegung habt: Hier findest du Details und den Anmelde-Link zur Online Schulung

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